Ein Gespräch über Glaube und Gesellschaft

Melis Aktüre, 20, aus Bilten, studiert Soziologie und Politikwissenschaften. Sie ist Muslima und Schweizerin mit türkischen Wurzeln.

Francesca Trento, 26, aus Glarus hat als Katholikin reformierte Theologie studiert. Ihre Wurzeln liegen in Sizilien. Sie schreibt fürs katholische Medienzentrum kath.ch.

Was bedeutet euch Religion?
Francesca: Religion bedeutet mir nicht viel, der Glaube schon. Ich fühle mich nicht katholisch oder reformiert, aber ich glaube an Gott. Ich bin nie allein, hoffnungslose Momente gibt es nicht mehr. Der Spruch «Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hände » gibt mir Kraft. Aber durch mein Theologiestudium hatte ich zeitweise auch an Glauben verloren. Spiritualität hat in der theologischen Wissenschaft keinen Platz. Das fehlte mir.

Melis: Ich unterscheide auch zwischen Religion und Glaube. Der Glaube gibt mir Halt in schwierigen Situationen, aber macht mich in glücklichen Momenten auch sehr dankbar.

Junge Menschen glauben oft an eine höhere Macht, aber wollen sich nicht an eine Religion binden. Warum glaubst du denn, geht der Glaube in unserer Gesellschaft verloren? Francesca: Genau das ist schade. Es gibt zu viele Pfarrer, die nicht glauben, was sie predigen. Das spürt man.

Also liegt das Problem nicht beim Glauben, sondern bei der Kirche?
Francesca: Bei denen, die ihn vertreten, ja.

Melis: Ich denke, da muss man auch differenzieren. Freikirchen haben beispielsweise eine grosse Resonanz bei Jungen.

Wie ist es denn beim Islam? Wählt man ihn oder gehört man einfach dazu?
Melis: Das ist schwierig zu sagen, da hier eine Minderheit lebt. Die Wahl hat man immer! Aber hier, wenn du zu einer Minderheit gehörst, ist der Islam eben auch Teil deiner kulturellen Identität, die du bewahren willst.

Wie steht ihr zum Zusammenspiel von Religion und Politik?
Melis: Ich bin sehr überzogen vom Laizismus. (Trennung von Staat und Kirche, Anm. d. Red.) Man sollte die beiden Dinge strikt trennen. Ich finde, Religion ist Privatsache, es darf jeder glauben was er will, solange er nicht die Freiheit des Anderen touchiert.

Francesca: Ich bin für eine Trennung von Religion und Politik. Aber die Einstellung, die du durch den Glauben erlangt hast, kannst du ja als Politiker nicht abstellen. Islamische und christliche Werte sind ja sehr ähnlich. Und wenn du das intus hast, dann handelst du ja auch gut. Aber wenn es zu extremen Einstellungen kommt, hat das nichts mehr mit Religionen zu tun.

Jesus hat gesagt, die geistliche Welt sollte sich nicht in die Politik einmischen. Und doch haben Christen das über zwei Jahrtausende lang mehrheitlich gemacht, so die Katholische Kirche im Mittelalter.
Francesca: Ja, da sind wir wieder bei den Extremen, das wollte er nicht.

Was ist Gott für euch?
Francesca: Gott ist Liebe.

Melis: Das kann und will ich nicht definieren.

Wie lebt ihr eigentlich eure Religion aus?
Francesca: Also jetzt wäre Fastenzeit. (beide lachen). Ich gehe fast nie in den Gottesdienst, eben wegen den Pfarrern. Beten tue ich, aber frei. Es kommt einfach, zum Beispiel beim spazieren. Man kann mit Gott im Gespräch sein.

Melis: Beten ist auch zum Beispiel dankbar sein, wenn man am Abend im Bett liegt und einen schönen Tag hinter sich hat. Wir feiern auch religiöse Feste, aber in der Schweiz ist das eben nicht das Gleiche wie in der Türkei. Francesca: Machst du eigentlich Ramadan? Melis: Du meinst fasten? Nein. Francesca: Ich auch nicht.

Melis, warum trägst du kein Kopftuch?
Melis: Weil ich finde, das mein Glaube mir das nicht vorschreibt. Aber jede Person, die findet, das gehört dazu, soll das tun.

An der Landsgemeinde 2017 stimmen wir über ein Verhüllungsverbot ab. Ein Argument der Befürworter ist, dass sie damit Frauen von der Unterdrückung befreien wollen. Kann man die weibliche Verhüllung also gar nicht als Symbol der Unterdrückung der Frau werten?
Melis: Nein, das ist ihre Überzeugung. Wenn sie glauben, damit zum Beispiel näher bei Gott zu sein, dann kann ich das akzeptieren. Die Interpretation der Schrift hat hier einen Spielraum, finde ich. Ich kenne nur Kopftuchträgerinnen, die das auch wollen. Aber ich persönlich finde nicht, dass ich das brauche, um meinen Glauben auszuleben.

Francesca: Doch, dann hätte ich dich als Muslima erkannt (beide lachen).

Melis: Dieses Problem habe ich oft. Leute fragen mich: ‘Ah was, du bist muslimisch?’ Ich glaube, sie stellen sich einfach etwas anderes darunter vor. Sie haben gewisse Vorurteile. Aber der Islam ist sehr facettenreich!

Francesca: Die Frauen in Saudi Arabien, ja, die werden unterdrückt. Aber das hat dann nichts mehr mit dem Islam zu tun, sondern mit dem Missbrauch der Religion.

Melis, fühlst du dich eigentlich angegriffen von Initiativen wie dem Verhüllungsverbot?
Melis: Ja klar, man fühlt sich schon ein bisschen ausgegrenzt. Auch wenn ich mich nicht verhülle: Ich finde, man sollte das tolerieren. Das ist wieder mal so eine unverhältnismässige Initiative, die mit den Emotionen von Menschen spielt. Es werden Ängste geschürt, und ein Problem geschaffen, das es gar nicht gibt.

Im klassischen Bild eurer Religionen seid ihr in eurer Rolle als Frau eingeschränkt. Francesca, du darfst als Katholikin trotz Theologiestudium nicht Pfarrerin werden. Melis, im Islam gilt die Frau auch als benachteiligt.
Melis: Ja, aber ehrlich: das ist ein generelles Problem unserer Gesellschaft. Die Frauen sind immer noch nicht gleichberechtigt, das sieht man zum Beispiel beim Lohn. Aber das hat nicht nur mit Religion zu tun.

Francesca: Ich wollte nie Pfarrerin werden. Aber in der Katholischen Kirche darfst du als Frau nicht viel. Das ist nicht zeitgemäss.

Glaube und Wissenschaft führen ja oftmals zu einem inneren Konflikt. Wie geht ihr damit um?
Francesca: Ich habe den Konflikt nicht.

Wie ist denn die Erde entstanden?
Francesca: Ich glaube, alles kommt von Gott. Wenn es den Urknall gegeben hat, dann hat Gott ihn ausgelöst. Ich glaube, dass Gott der Schöpfer ist. Ich finde alles kommt von einem, es beisst sich gegenseitig nicht.

Melis: Zurück zur Frage: Ich würde das nicht als inneren Konflikt werten. Es gehört dazu, dass man seinen Glauben hinterfragt. Wenn man das tut, ist man auf einem guten Weg. Sonst gerät man dann eben in eine der Extremen.

Wie könnte man den interreligiösen Dialog fördern?
Melis: Mit Diskussionen, man sollte sich getrauen, zu fragen und zu antworten. Weiter ist natürlich kulturelles Reisen sehr horizonterweiternd. Man sollte offen und tolerant sein.

Francesca: Und neugierig. Klar ist die Schweiz christlich, aber das heisst ja nicht, dass das andere keinen Platz hat. Man sollte einfach die Augen öffnen und sich interessieren. Der Dialog sollte eben nicht nur an der Uni stattfinden, sondern überall.

Glarner Woche, 24. Februar 2016

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3. April 2018

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